bauhausverein.de

»Ein paar interessante Personen …«

Gert Behrens
im Gespräch mit Chup Friemert
19. November 2015

1980er Jahre, Archiv bauhaus dessau e.v.

Chup Friemert | C F: Ich trage Material für eine kleine Broschüre zum bauhaus dessau e.v. zusammen, der nun 25 Jahre besteht. Es soll keine wissenschaftliche Arbeit werden, sondern die Zeitzeugen sollen zu Wort kommen. Wie kam es denn, dass Sie eingeladen wurden, den Bauhausverein mit zu gründen?

Gert Behrens | G B: Diese Zeit steckt ja voller interessanter Episoden. Man muss vielleicht vorausschicken, dass ich in 0stberlin aufgewachsen bin. Ich habe bis zu meinem 14. Lebensjahr in Weißensee gelebt, bin dort zur Schule gegangen und sollte wegen meiner schlechten Leistungen in Russisch – was aber eine Art ›Familienauflage‹ war – nicht versetzt werden. Da sich jedoch mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft nach Westberlin hatte entlassen lassen, war es für mich überhaupt kein Problem, in Westberlin zur Schule zu gehen und in Ostberlin zu leben. Das war ja lange vor dem Mauerbau. Wir sind dann 1953 nach Westberlin gezogen, weil mein Vater als Steuerberater im Osten nicht praktizieren durfte. Ich bin also etwas vorbelastet, was das Thema DDR und den Zweiten Weltkrieg angeht. Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu den Russen, denn ich hatte meine erste warme Mahlzeit nach Kriegsende aus einer russischen Gulaschkanone bekommen, aber die haben bei uns zum Teil gehaust wie die Wilden. Das war schon nachvollziehbar, auch wenn ich das nicht billigen muss. Ich bin so eine Art Flüchtling light. In der Schule gab es dann noch das Problem, dass in Reinickendorf die Schüler schon zwei Jahre englisch gelernt hatten. Das Ergebnis war: Ich lernte beide Sprachen – Russisch und Englisch – schlecht. Ich glaube, so geht es vielen, die sozusagen in der Mitte hängen geblieben sind; bestenfalls haben sie ein gewisses Verständnis für beide Seiten und sind dann gute Dolmetscher.

C F: Ich habe mit Karl-Heinz Burmeister geredet. Wir haben über die Zeit von 1984 bis 1989 gesprochen, das war eine Art ›Vorbereitungszeit‹ in Ostberlin von verschiedenen Personen, die versucht haben, mit dem Bauhaus Dessau und dem Bauhaus in Weimar irgendetwas in Gang zu setzen. Sie bildeten sozusagen den Pool, der sich zusammengefunden und dann den bauhaus dessau e.v. gegründet hat. Ich kannte die meisten und habe auch in verschiedenen Zusammenhängen mit ihnen zusammengearbeitet. Ihre Person habe ich in diesem Zusammenhang nicht gesehen.

G B: Das ist relativ einfach. Ich habe ja eine bunte Geschichte: Ich war in der Vorbereitungsgruppe zur Gründung der taz, hatte dort von Anfang an bestimmte Verantwortungen über die rechtliche und wirtschaftliche Konstruktion übernommen. Ich war relativ bekannt, habe den Mehringhof mit gegründet, habe zwei Jahre lang für das Land Berlin einen Sanierungsträger geleitet, der die Hausbesetzerproblematik bearbeitet hat. Deshalb war ich immer ansprechbar. Ich galt immer als derjenige, der eine gewisse Distanz hat, von dem man aber wusste, dass der versteht, was man meint, wenn man zu dem geht. Ich kann Ihnen noch nicht einmal sagen, wann ich wie zum Bauhausverein dazu kam.

C F: Bei der Gründungsversammlung waren Sie noch nicht dabei. Karl-Heinz Burmeister sagte, Sie seien über das Bauministerium, also über Michael Bräuer, ins Blickfeld gekommen. Was hatten Sie mit dem Bauministerium zu tun?

G B: Das weiß ich auch nicht. Ich kann mir vorstellen, dass Bräuer mich über mein Stattbau-Engagement kennengelernt hat. Stattbau wurde aktiv 1983, und wir hatten alle möglichen Kontakte. Vielleicht kommt daher die Beziehung zu Bräuer. Er ist ein außerordentlich sympathischer Mensch und ich habe gedacht: Es gibt doch nette Leute. Und schon beim ersten Mal fand ich die Truppe ganz faszinierend. Besonders nett fand ich Professor Theunissen. Mit ihm konnte man sich unterhalten, auch wenn man kein Denker, kein Architekt war. Zweitens war für mich Bauhaus als Bewegung immer eine wahnsinnig spannende Sache. Da stimmte eigentlich alles. Dass man Serienbau attraktiv machen kann und neue Ideen einbringen kann, und dass sie alle ein bisschen verrückt waren. Da konnte sich der Genius so entfalten und auch etwas hinstellen. Ich schätze ja an meinem Beruf, dass er eine starke handwerkliche Seite hat und man etwas hinstellt. Da steht dann nicht nachher auf dem Grabstein: Er hatte gute Ideen zu einem Thema … Also Bauhaus fand ich faszinierend, auch in seiner Erkennbarkeit. Und ich bin immer verführbar, wenn die Idee stimmt und wenn wenigstens ein paar Personen dabei sind, die ich interessant finde. Dass keinerlei finanziellen Interessen da waren, war sowieso klar, und über die Verantwortung, die wir da übernommen haben, waren wir uns zum Glück nicht im Klaren. Das hätte furchtbar schief gehen können. Wer hat sich denn schon Gedanken gemacht über Rechtsträgerschaft à la DDR? Niemand. Wir haben im Grunde den Kopf dafür hingehalten, dass andere Leute sozusagen auf der Büroetage alles Mögliche gemacht haben. Wir sollten nicht glauben, dass die uns immer informiert haben über das, was sie so machten.

C F: Das war ja eine völlig irre Konstruktion, dass der Verein, der 1990 gegründet worden ist, die Trägerschaft über das Bauhaus Dessau übernimmt. Allerdings ist der Etat aus Mitteln des Bauministeriums und des AiF nie an den Verein gegangen.

G B: Heute würde man sagen, der Verein war eine Briefkastenfirma.

C F: Ja, auf der einen Seite eine Briefkastenfirma, auf der anderen Seite aber eine ziemlich reale Veranstaltung, weil bis zur endgültigen Einrichtung der Stiftung Bauhaus im Verein und über den Verein die Frage verfolgt wurde, was denn mit und in dem Gebäude und im Umgang mit dem kulturellen Kapital ›Bauhaus‹ der Sache nach geschehen kann und soll. Da gab es zwei Linien: Die eine verfolgte Rolf Kuhn, der den Bonnern ein unproblematisches Konzept versprochen hat, nämlich Akademie, Sammlung und Weiterbildung. Die anderen haben gesagt: Das ist überhaupt nicht das Thema. Wir räumen die alte DDR-Konstruktion ab. Es geht dort nicht um Ausbildung. Es soll ein Ort werden, der sich interdisziplinär immer wieder unter neuen Fragestellungen konstituiert. Dann kam ja Prof. Strehl aus Aachen, der die Fachhochschule für Architektur unbedingt ins Bauhaus bringen wollte. Mit Hilfe des Vereins wurde dann verhindert, dass das Bauhaus eine neue Schule nach dem Konzept aus Aachen wird. Sie, Herr Behrens, waren auch der Finanzberater des Bauhausvereins.

G B: Das war bei mir die ›Sättigungsbeilage‹. Ich habe als Steuerberater ja immer den Nachteil, dass ich ganz schnell auf meine berufliche Professionalität festgelegt werde, und dann wird gesagt: Von den anderen Sachen hast du keine Ahnung, also halte dich raus. Beim Bauhausverein konnte ich aber auch in die inhaltliche Diskussion eingreifen. Wir waren blauäugig und naiv. Das mag auch an der Figur Karl-Heinz Burmeister gelegen haben, der zwar immer signalisiert hat, dass wir am Ball bleiben und das ein bisschen unter Kontrolle halten müssen, aber Rolf Kuhn war ja nicht unter Kontrolle zu halten. Dessen Super-Ego hat das ja gar nicht zugelassen, dass er sich mit irgendwelchen anderen auseinandersetzt. Er hatte eine eigene Vorstellung und sich selbst als Bauhausdirektor in der Tradition der alten Bauhausdirektoren gesehen – mit allem, was dazugehört. Er hat es verstanden, sein Ding zu machen und den Verein – uns als Rechtsträger und als letztlich rechtlich Schlussverantwortlichen – herauszuhalten. Wenn ich mir im vollem Umfang über die Sache im Klaren gewesen wäre, hätte ich gesagt: Das geht nicht, ich habe etwas zu verlieren. Ich bin Steuerberater. Deshalb habe ich nie Rotwein aus Frankreich eingeschmuggelt, weil die Leute sagen: Sie sind doch Steuerberater und wissen, dass das Zoll kostet. Erzählen Sie uns doch nichts. Ich hätte wahrscheinlich hingeschmissen, wenn ich die volle Brisanz erkannt hätte; und das war eben Karl-Heinz Burmeisters taktisches Geschick, vielleicht nicht alles zu sagen, was da lief. Es gibt Momente und Ereignisse, die ich mit der Zeit und dem Verein verbinde. Die sind als Bilder da. Einmal hab ich in Dessau gearbeitet, irgendwelche Etats zusammengerechnet, und eines schönen Abends wollte ich Schluss machen und ins Hotel gehen. Da waren die Türen verschlossen. Die Tür von meinem Zimmer war von außen abgeschlossen. Dann hab ich das Telefon in meinem Zimmer genommen. Aber ich konnte wählen, so lange ich wollte, da ist niemand ans Telefon gegangen. Da hab ich mir aus Stühlen in dem Zimmer eine Liege gebastelt und habe da gepennt. Das können ja auch nicht viele von sich sagen, dass sie im Bauhaus selber – nicht im Gästehaus! – übernachtet haben. Ich habe auch noch deutlich diese Szene vor Augen, als die Jungs aus Bonn kamen. Die sind ja eingeritten! Da hab ich gesagt: Leute, so muss das früher in Rom gewesen sein, wenn die eine Provinz besetzt haben. Dann sind da die ›Obermuftis‹ mit strengem Gesicht angetreten und haben erst mal allen erzählt, dass sie nichts zu sagen haben, sondern dass sie die Bestimmer sind. Und mit einer Attitüde, da wird einem die Milch sauer. Völlig undiplomatisch, sondern so: Jetzt zeigen wir denen erst mal, wo es längs geht. Das sind dann bei mir immer verstärkende Momente, in denen ich sage: Na, wollen wir mal gucken, wo wir noch was machen können. Es gab keine Begegnung, wo man sich erst einmal vorstellt und sich dann zusammensetzt. Wir haben gar nicht gesessen, wir haben herumgestanden, und die haben uns einfach nur Bescheid gegeben. Das war ein Punkt, der war unglaublich: Betretenes Schweigen. Das habe ich so festgehalten als Bild.

C F: Der Bauhausverein war Rechtsträger von großen Grundstücken und Gebäuden, die vormals dem Bauministerium zugeordnet waren. Zum Glück war der Verein nicht Eigentümer. Dafür wäre ein Beschluss des Ministerrats der DDR nötig gewesen. Zum Glück hatte der anderes zu tun.

G B: Und die Diskussion, was denn aus dem Bauhaus werden soll, die besteht ja bis heute.

C F: Die faktische Entlassung von Philipp Oswalt hat das ja gerade wieder deutlich gemacht. Vor allem aber ist deutlich, dass nicht aus der Institution heraus, also aus dem Stab der Mitarbeiter und dem Beirat heraus, eine Arbeit entschieden und vorangetrieben wird, sondern dass der Kurs von außen, von der Politik, von den Trägern der Stiftung bestimmt wird. Es geht aus meiner Einschätzung heraus jetzt zur Sache, weil 2019 die 100 Jahre-Gründung des Bauhauses gefeiert werden wird, und da gibt es einen Fahrplan für Feiern und Sonstiges. Das Ganze gehört wohl zum Geflecht jener Bemühungen, das beweisen soll, dass Deutschland eben nicht nur Weltkriege und Nazismus hervorgebracht, sondern der Welt die Moderne geschenkt hat. Das ist die Zielstellung der Feierlichkeiten von 2019; und ich kann mir nicht vorstellen, dass Oswalt jedem ministeriellen Hinweis mit Freude folgt, sondern einen eigenen kritischen Kopf und eigene Vorschläge hat. Seine letzte Ausstellung »Moderne zerstört« zeigte das ja. Wie auch immer, sie haben ihn auf üble Weise abgesägt und damit dem Bauhaus aus meiner Sicht erheblich geschadet.

G B: Ja, und der zuständige Minister scheint in diesem Zusammenhang einen gewissen Ehrgeiz zu haben, nicht im inhaltlichen Sinne, sondern in dem, sich zu repräsentieren.

C F: Ja, im Fernsehen habe ich mir die Magdeburger Landtagsdebatte zu der ›Frage Oswalt‹ angesehen, und da wurde mir klar, dass sie den Direktor abschießen werden und fertig. So kam es dann auch. Oswalt hat bis heute seine Sicht nicht öffentlich gemacht, er hat keinen Grund genannt, ich weiß nicht, welchen Grund er sieht, und der Minister kommt mit Politsprech »Vertrauen zerstört« zurecht.

G B: Ich erzähle noch mal weiter: Als Bonn signalisiert hat, wir werden da in Dessau was tun und ihr tut bitte nichts, war das ja die entscheidende Zäsur, wo die Vorstellung, man könne da etwas Kreativ-Autonomes, Zukunftsweisendes machen, eigentlich tot war. Das muss man so sagen. Ich meine, dass die Konstellation der historischen Bauhausakteure so einmalig war, dass daraus dieser Kreativkessel entstanden ist – ein ganz widersprüchliches Konglomerat, eingebettet in eine politische Entwicklung, die alles andere als normal war. Man könnte fast sagen, das Bauhaus hatte etwas von der berüchtigten ›Ursuppe‹, in der es brodelt und zischt und macht und es kommt dann auch tatsächlich etwas heraus. Das kann man nicht künstlich konstruieren. Es ginge ja nur so, dass man einen Zaun drumherum baut und ein paar Leute zusammenbringt, und dann kommt man in zehn Jahren mal vorbei, um zu schauen, ob da was entstanden ist – oder letztlich doch eine Gedenkstätte.

C F: Man kann eine Ursuppe ja nur so wieder herstellen, indem man alles zerstört und dann aus dem Aschehaufen der Phönix heraufsteigt …

G B: … oder ob daraus ein großer Misthaufen wird. Das kann man nicht wissen.

C F: Obwohl: Wenn die institutionelle Form – also die Stiftung Bauhaus Dessau – etwas mehr zugehört und den Vereinsleuten etwas mehr, genauer gesagt überhaupt Platz zum Handeln eingeräumt hätte, dann hätte dort schon eine andere Art von Zentrum entstehen können. Die Gedenkstättentendenz und die unkritische Modernitätsdarstellung wären zurückgedrängt worden. Das wäre nicht die Wiederholung des Bauhauses gewesen, aber es hätte aufbauend auf dem, was in der Gruppe des Bauhausvereins als Potential da war, eine andere Art von Denkwerkstatt werden können.

G B: Genau das war meine These. Ich kann die Stiftung nicht verstehen, warum sie uns nicht benutzt hat, benutzt im Sinne eines Beibootes des großen trägen Tankers. Es wäre nicht einfach geworden, aber man hätte es hinkriegen können, dass die Stiftung sagt: Wir wollen weiterhin das Thema ›unbefleckte Empfängnis‹ pflegen und dazu haben wir da diesen Bauhausverein, die ja alles Mögliche machen können, und wenn sie übertreiben, dann kann man doch großzügig darüber hinweg sehen. Diese berühmte Spielbein-Standbein-Theorie hätte man gut pflegen können. Das hätte aber von beiden Seiten gefordert, sich gegenseitig zu respektieren. Und das hat nie funktioniert.

C F: Ich war ja sehr dafür, dass wir so schnell wie möglich alle materiellen Verpflichtungen los werden. Mir war da etwas schwummriger als Ihnen. Und da hat Herr Dr. Siegfried, der pensionierte Richter aus Lüneburg, gut mitgearbeitet. Er wollte auch, dass am Bauhaus etwas Produktives passiert, und es hat ihn auch sehr gestört, dass der Verein mit seinen Ideen überhaupt nicht zum Zuge gekommen ist. Andrerseits war ihm auch klar, dass die Vermögensfrage mit uns als Verein nichts zu tun haben kann, sondern dass es eine Trägerschaft geben muss, schon allein für die Finanzierung, dafür konnten wir nie zuständig sein. Es war eine Zeit, in der die Abläufe nicht festgezurrt waren, es war ein ständiges Zerren und ein Hin und Her. Klar muss man sagen, dass der Gegner stark war. Andererseits haben sich auf Seiten der Vereinsmitglieder die Interessen verschoben. Bei den Vereinsmitgliedern aus der DDR standen Fragen »Welche Arbeit kriegen wir, was können wir unter den neuen Verhältnissen tun?« Da stand bei allen die Existenz auf dem Spiel. In der DDR-Zeit war das Bauhaus zum Beispiel für Karin und Heinz Hirdina einer der wichtigsten Punkte in ihrer inhaltlichen Auseinandersetzung um Kulturpolitik. Das war ihr Spielfeld, da konnten sie sich entfalten und Ideen entwickeln. Nach Oktober 1990 war für sie die Situation völlig anders; sie mussten sehen, wie sie sich sortieren konnten, und es sah nicht so aus, als könnte man sich am Bauhaus etablieren und sein Gehalt von dort beziehen. Damit sanken natürlich auch der Spielraum und das Interesse, sich zu engagieren. Das ist ein materieller Grund, weshalb die Kraft nachgelassen hat und der Einsatz, unser Manifest zu verfolgen und zu seiner Umsetzung beizutragen, nicht mehr im oder über den Verein möglich schien. Für die Leute haben sich andere Wege aufgetan, und das ist auch verständlich. Was wäre, wenn … das brauchen wir nicht weiter zu verfolgen.

G B: Nein. Mir ging gerade der Gedanke durch den Kopf: Wo hat die Zäsur stattgefunden? Und die hat stattgefunden mit dem Datum, an dem die Bonner gesagt haben, das ist unser Ding; wir wissen zwar noch nicht wie, aber wir machen. Damit waren die Machtverhältnisse geklärt. Dann fand ich es immer noch spannend zu erleben, dass es beim Bauhaus eine DDR-Seite gab, die aber unterbelichtet war. Karl-Heinz Burmeister hat sich bemüht, die immer wieder hervor zu holen. Tatsächlich gab es ja im Osten viele Intellektuelle, die in der DDR den besseren deutschen Staat nach dem Krieg gesehen haben. Die wurden dann zwar furchtbar enttäuscht, aber das ist offensichtlich ein Thema, das immer noch nicht opportun ist.

C F: Ich fürchte, es wird immer weniger opportun werden, denn der Grund für diese Haltung der Intellektuellen war ihre Angst, dass der Schoß noch fruchtbar ist, aus dem das kroch. Und da haben sie schon gesehen, dass in der DDR andere das Sagen hatten. Die ersten volkseigenen Betriebe haben sie etwas beruhigt, aber nach der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik hatte man keine Wahl mehr.

G B: Da konnte man ja auch eigentlich nicht mehr guten Gewissens zurück. Keine komfortable Situation so zwischen Baum und Borke.

C F: Ja. Karl-Heinz Burmeister hat seinen Posten nicht abgegeben. Er war ja strafversetzt worden von Berlin nach Dessau. Für ihn war das Bauhaus zunächst eine Stelle, an der er arbeiten konnte, also sein Geld kriegte. Und er hatte ja zuvor, so um 1984, in einem Konsultativrat mitgearbeitet und auch zu DDR-Zeiten das Bauhaus mit betrieben. Da gab es das Jubiläumsjahr 1979 – 60 Jahre Bauhaus –, und es wurde rekonstruiert und renoviert. In der Zeit gab es in Weimar die internationalen Bauhaus-Kolloquien. Das Thema Bauhaus ist tatsächlich seit den siebziger Jahren innerhalb der Architektur- und Designszene der DDR behandelt worden. Weniger unter der Frage der Kunst, sondern unter den Fragestellungen nach der materiellen Kultur. Was taugt Architektur für den Alltag, was taugen Gegenstände für den Alltag? Im Zusammenhang mit solchen Fragen kommt man am Bauhaus gar nicht vorbei. Wahrscheinlich hat eine Publikation in Moskau über Walter Gropius, die auch ins Deutsche übersetzt worden ist, eine gewisse Rückendeckung für diese Aktivitäten gegeben. Die Sowjets haben in jener Zeit ja auch die sowjetische Avantgarde wieder besser bewertet und neu entdeckt. 1989/90 dachten ja auch ganz viele in der DDR, dass jetzt ihre Stunde kommt. Es wollten ja nicht alle unbedingt die D-Mark und an die Bundesrepublik angeschlossen werden. Für die wendeten sich auch nochmals ihre Verhältnisse, weil sie nicht weiter mit und in ihren sozialen Netzwerken operieren konnten.

G B: Karl-Heinz Burmeister hat die tragende Rolle gespielt, hat sich bemüht, dass die DDR in Zusammenhang mit dem Bauhaus nicht in Vergessenheit gerät. Er hat das klugerweise nicht so sehr an Institutionen, sondern an Personen festgemacht, die ich zum Teil sehr beeindruckend fand, aber es wurde eben immer dünner. Wenn ich das ganze Thema mit der Hochschule Sachsen-Anhalt sehe, da haben die Professoren nie den Burmeister, der eine komplexe Figur ist, ein bisschen zu verstehen versucht. Das wirft kein gutes Licht auf die Bemühungen, zueinander zu kommen. Warum gibt es den Verein noch? Am Leben gehalten als Verein hat uns eigentlich die Tatsache, dass wir ein paar Hunderttausend Mark auf der Bank haben. Ich habe schon ein paar Mal scherzhaft gesagt, wir müssen die Kohle auf den Kopf hauen!

C F: Wir nehmen uns ja selbst auf den Arm mit der Feier unseres 25-jährigen Bestehens. Doch nur deshalb, weil wir uns bislang nicht haben entscheiden können, wie wir in Rente gehen wollen. Der Verein hat eine Generation lang bestanden. Ob er mehr trägt, muss sich noch zeigen. Vielleicht sollten wir das Ganze selbst zu Ende bringen, und zwar nicht als Selbstmord, sondern als Abschluss. Wir müssen kein neues Manifest schreiben. Mit einem Kunststück aufzuhören wäre mir viel lieber, als eine Verernstung und Versteinerung.

G B: Gut. Ja. Wunderbar. Das können wir ja unter dem Arbeitstitel »Zeitzeugenbegräbnis« vorbereiten. Es muss etwas Besonderes sein. Ein Manifest weckt ja immer die Idee, dass es weitergehen muss. Und da sag ich immer: Vergesst es. Bauhaus ist ein Solitär und wunderbar. Was doch immer Interesse erweckt, das sind doch die Konflikte und die Skurrilitäten der Entwicklung einer solchen Institution. Da war immer so mein Ding. Sich einzugestehen, dass die Quadratur des Kreises nicht gelingt, und daraus einen positiven Schlussakt zu organisieren, das ist doch den ›Schweiß der Edlen‹ wert. Es muss was sein, was die anderen nicht machen, weil sie sich nicht trauen oder weil sie es vielleicht albern finden. Ich würde das sehr gerne erleben. Es wäre einer der wenigen Fälle, die ich kenne, wo man bewusst einen Schlussstrich gezogen hätte in der Erkenntnis: Wir haben unser Ding gemacht im Rahmen der Möglichkeiten, mehr können wir nicht. Also lasst doch bitte die Toten ruhen.

Gert Behrens (*1938), Steuerberater, Gründungsbegleiter alternativer Unternehmen und Netzwerker, war langjähriges Mitglied des bauhaus dessau e.v. und lebt in Berlin.